2023

Daniel Anderson

 

SEHNSÜCHTE

 

Zur Ausstellung "Stadt Land Fluss" von Thomas Trebstein.

 

Die von Neo Rauch stammende Definition, dass Malerei die Fortsetzung des Träumens mit anderen Mitteln sei, trifft wahrscheinlich auf den ersten Blick auf das Werk Thomas Trebsteins nicht wirklich zu. Auf den zweiten und dritten Blick beschreibt diese Definition aber exakt das, was man erlebt, wenn man entdeckt, dass in Trebsteins Kunst die wiederkehrende Bedingung "Sehnsucht" eine zentrale Rolle spielt. Dabei ist es gleichgültig, ob es sich um urbane Landschaften ("Nacht auf dem Dach" / "Via Mazzanti" / "Rom auf Rom" / "Abriss am Abend" u.a.), um scheinbar schlafende Wasserfahrzeuge ("Zeesboote" / "Kühlungsborn" u.a.), um vorderhand abstrakt wirkende Gegenständlichkeiten ("Rügenabend" / "Wintergegenlicht" / "Poel"), oder um Momentaufnahmen urlaubender Menschen am Meer ("Herbstsuchende" / "Flamingofarm" u.a.) handelt.

 

Einen Thomas Trebstein in seinem Schaffen auszeichnenden Kontrast zwischen der feinen, unterschwelligen Ironie, sobald er sich Menschendarstellungen widmet, einer nahezu impressionistischen Ernsthaftigkeit in seinen Stadtlandschaften und Naturbeobachtungen und den Albträumen, wie in "In The Blackfields", verleitet den Betrachter möglichweise dazu, die Konsistenz des Werkes zu bezweifeln. Dieser Zweifel ist allerdings vom Künstler intendiert, um den Betrachter mit seinen eigenen Sehnsuchtserfahrungen zu konfrontieren. Hier manifestiert sich die philosophische Dimension in dem Werk des Künstlers. Könnten Trebsteins Bilder sprechen, würden sie wahrscheinlich vom Betrachter fordern: "Schau mich an und sieh dich selbst."

 

Besonders deutlich wird diese Struktur des Oeuvres Trebsteins nicht nur in der Wahl der Motive, sondern vorrangig in der Widersprüchlichkeit einer mal 'verwehenden', dann wieder 'schreienden' Farbigkeit, in Verbindung mit einer mal gleißenden, dann wieder scheinbar nicht vorhanden Beleuchtung der Motive. Harte Schatten, beide Enden der Skala sind ausgereizt, ohne aufdringlich zu wirken. Das ist der Tatsache geschuldet, dass Trebstein aus dem abgebildeten Motiv heraus fabuliert, wie ein Theaterautor, der seine Figuren sich aus sich heraus entwickeln und erzählen lässt: Zufall, Möglichkeit und Notwendigkeit vereinen sich zu einer fragilen, auch hier wieder, unbedingten Einheit. Die Bewegung, die dabei entsteht, ist anscheinend stets ein "Wohin," eine antreibende Kraft, deren Mächtigkeit jede Gewalt vermissen lässt. Eindringlich ist das im Zyklus "In The Blackfields" und bei Bildern wie "Regen" und "Abendbahn" nachzuvollziehen.

 

Gleiches trifft auf Trebsteins Strich zu. Auch hier begegnet man zwei Extremen und allem dazwischen. Die nahezu unbedingte Härte, wie im Vordergrund bei "Flamingofarm" und "Cinque Terre" kontrastiert auf eine sehr resiliente Art und Weise mit der Luftigkeit wie bei dem schon erwähnten "Regen." Ebenso mögen die Kompositionen zufällig erscheinen, so zufällig als würfe man einen flüchtigen Blick in die Welt, sind es jedoch keineswegs. Trebstein gelingt es in sehr unaufgeregter Art und völlig unaufdringlich den Blick zu führen, ihm eine Richtung zuzuweisen, von der man unter Umständen tatsächlich noch nichts geahnt hat. Auch hier offenbart sich das Sehnsuchtsmotiv, auch wenn es, wie bei "Regen," um bei dem Beispiel zu bleiben, weit außerhalb des Bildes liegt. Die Verlängerung des Motivs in ein wie auch immer geartetes Außerhalb, verleiht den Bildern die Spannung, die niemals als Anspannung wahrgenommen wird.

 

Einen besonderen Platz in den gezeigten Werken nimmt zweifellos das Bild des Plakates "Spiegelbild" ein, ist es doch das einzige Porträt der Ausstellung. Ein in sich selbst aufgehender Frauenkörper, klar konturiert und dabei gleichzeitig im Unwägbaren angesiedelt, vermittelt das Bild in seiner Vereinzelung und seiner Reduzierung etwas, das sich vielleicht als ein 'Sowohl-als-auch' charakterisieren lässt: Die Pose, offen und gleichzeitig geschlossen, die Umgebung, definiert und eben auch nicht, die Deutung, klar zugewandt und dabei in sich geschlossen. Trebstein vereint in diesem einfachen Bild nahezu alles, was den Sehnsuchtsgedanken in seiner Kunst ausmacht.

 

Thomas Trebstein scheint sich in seinen Werken immer wieder neu zu erfinden. Zwischen an Fotorealismus angelehnten Arbeiten bis zu einem rein Impressionistischen lassen sich Verbindungen ausmachen, deren Transparenz, deren Unbedingtheit und deren Wahrheit eine besondere Qualität Trebsteins ausmachen, weil das Werk ohne diese Verbindungen nicht denkbar wäre. Und trotzdem, oder gerade deshalb, steht jedes Bild in Tomas Trebsteins Werk auch für sich selbst ein.  

Jeannette Drygalla

 

STADT LAND FLUSS und Licht

 

„Stadt Land Fluss“ ist der Titel der Ausstellung, der aus den Gesprächen am Rande des ersten Atelierbesuchs entstanden ist. Aus mir rausfloss wie ein Fluss: Ist es doch eine Wortfolge, die ebenso wie die Bilder dazu einlädt, zu ergänzen, daran anzuknüpfen. In Bezug auf die Bilder heißt das, Motive und Stimmungen individuell um Gedanken- und Erinnerungsbilder zu ergänzen, weiterzufühlen oder gedanklich daran anzuknüpfen. Beim Betrachten etwas in den Fluss zu bringen.

             

Dabei sind die Bilder nicht ruhelos. Sie wirken vielmehr verortet, angekommen, in sich stimmig. Sie laden uns gleichermaßen ein, innezuhalten und einzutauchen. Thomas Trebstein möchte mit seiner Malerei, so formuliert er, „Stimmungen scheinbar fotografisch einfangen und doch die Bewegung, die Unklarheit des Moments dem Bild selbst überlassen.“ Das gelingt ihm auf großartige Weise. Dabei entstehen Momentaufnahmen von Stadtszenen, Landschaften und Porträts, die einerseits die Affinität des Künstlers zum Augenblick zeigen, seine genaue Beobachtungsgabe und sein Können. Andererseits ist das Ergebnis nie statisch: Menschen scheinen zu atmen, durch Landschaften ziehen Licht und Luft. Die Bilder lassen uns Betrachter*innen den eingefangenen Moment miterleben und erlauben, eigene Erinnerungsbilder mit dem Betrachteten zu verknüpfen.

 

In der Ausstellung des Halleschen Kunstvereins im Herbst 2023 werden Ölbilder, Zeichnungen und Skizzenbücher (Aquarell) gezeigt. Damit zeigt die Ausstellung nicht nur verschiedene Sujets und Techniken, sondern soll den Prozess des Werdens, von eingefangenen Momenten in Skizzenbüchern bis zu im Atelier entstandenen Ölbildern, transparent werden.

 

Die Skizzen, die Thomas Trebstein über Social Media teilt, entstehen auf Reisen, im Wartezimmer, mitten im Leben. Sie heißen „spazieren im herbst“, „kritzeln in rom“, „kritzeln an der katzenbuckelbrücke“, „kritzeln beim motivationstraining“, „kritzeln nach dem zirkus“. Und immer wieder begegnet uns: „kritzeln am meer“. Zwischendurch findet sich eine Kultur- oder Leseempfehlung. Das alles unprätentiös.

 

Die Serie „In The Blackfields-Remixe“ zeigt Entwicklung, indem Motive wieder aufgenommen und modifiziert werden. Auch hier sind Entstehen und Wachsen, Entwickeln und Herausfordern im Fokus. Mit der Technik knüpft Thomas Trebstein an musikalisches Herangehen an. Er möchte „alte Sachen neu mixen, alte Sachen als Rohmaterial betrachten“ um Neues entstehen zu lassen. Grundlage sind Bilder aus der Serie „In The Blackfields“. Der Name eröffnet gleichzeitig eine Inspirationsquelle: ArtRock zu musikinspirierter Kunst. Verknüpft mit dem, was biographisch oder gesellschaftlich rahmt, stattfindet, auszuhalten ist. Mit Worten von Thomas Trebstein: „Mit eingeflossen ist das, was gerade durch Hirn und Herz geht“.

 

Thomas Trebsteins Werk zeigt eine unglaubliche Bandbreite. Dies innerhalb der verwendeten Sujets, in der Anwendung verschiedener Herangehensweisen und im Verknüpfen unterschiedlicher Kunstgattungen. Aber den Hintergrund braucht es nicht, um das Werk verstehen zu können. Die große Kraft aus den Bildern von Thomas Trebstein spricht für sich. Die Bilder glitzern, aus ihnen strahlt Klarheit.

 

Zwei Aspekte sind es, die ich resümieren möchte:

 

Klarheit und Unschärfe: Die Bilder changieren zwischen diesen Polen. Wie von Wolfgang Ullrich formuliert: „Die vom klaren Licht bewirkte Zuspitzung der Welt auf reine Gegenwart ist also das Gegenerlebnis zur Vereinigung aller Zeitdimensionen, wie sie im Blick auf fließende Konturen erfahren werden kann“. (Wolfgang Ullrich 2009: Die Geschichte der Unschärfe). Thomas Trebstein vermag es meisterhaft umzusetzen, sich innerhalb dieser Pole künstlerisch zu entfalten, zwischen Augenblick und Entwicklung, zwischen Innehalten und Bewegung.

 

Licht und Leben: Licht ist zentral im Werk von Thomas Trebstein. Seine Fähigkeit, Licht im Bild entstehen oder aus seinen Bildern strahlen zu lassen, ist vielleicht das, was ich als roten Faden formulieren und als besondere künstlerische Fähigkeit benennen würde. Licht als Quelle jeden Lebens, als Notwendigkeit für Lebendigkeit und Entwicklung. STADT LAND FLUSS, alles wird erst über Licht lebendig.

 

 

Eine Ausstellung des Halleschen Kunstvereins, die einen Ausschnitt aus dem Werk von Thomas Trebstein zeigen möchte. Und damit einen Spot richten will auf einen Künstler in Halle, von dem hoffentlich noch viel mehr zu sehen sein wird. 

2022

Rainer Ehrt

 

Malerlandschaften

Eberhard Trodler, Thomas Trebstein und Heiko Mattausch, im Landarbeiterhaus

 

„Schon mit sechs Jahren war ich davon besessen, die Form der Dinge zu skizzieren. Nach meinem 50. Lebensjahr machte ich eine Reihe von Bildern, aber alles, was ich vor meinem 70. produziert habe, ist der Rede nicht wert. Im Alter von 73 lernte ich schließlich etwas über die wahre Natur und über das Wesen der Dinge. Deshalb werde ich im Alter von 86 wohl mehr und mehr Fortschritte erzielt haben, mit 90 werde ich dann noch tiefer in die Bedeutung der Kunst eingestiegen sein. Im Alter von 100 werde ich einen exzellenten Rang erreicht haben, und mit 110 werden jeder Punkt, jede Linie ein eigenes Leben haben. Ich hoffe nur, dass einige Leute so alt werden, um den Wahrheitsgehalt meiner Worte zu erkennen - eines ins Zeichnen vernarrten Greises.“ Katsuhika Hokusai

 

Liebe Kunstfreunde,

unsere drei Aussteller sind nun nicht nur ins Zeichnen (wie dieser eben zitierte großartige japanische Holzschneider) sondern ebenso auch ins Malen vernarrt, und Greise sind sie selbstverständlich auch noch nicht, aber Eberhard Trodler, der Senior unserer Ausstellung, feierte kürzlich immerhin seinen 80. - Grund genug, ihm zusammen mit zwei jüngeren Malerkollegen eine Ausstellung in unserem Kunstverein auszurichten. Wir haben das „Malerlandschaften“ genannt, denn die nahe und ferne Stadt - und Küsten - und Waldlandschaft ist es, die das verbindende Element der Ausstellung darstellt und immer wieder neu zur künstlerischen Auseinandersetzung herausfordert. Hokusai formuliert da eigentlich einen bedingungslosen Anspruch an die Wirklichkeit als ersten (aber nicht letzten) Maßstab für das bildnerische Gelingen - das heißt selbstverständlich nicht plattes fotografisches Abbilden, sondern das Gesehene, Erlebte, Erspürte passioniert ins unverwechselbar Eigene zu übersetzen. 

In Schillers Briefen über die ästhetische Erziehung heißt es: 

„Zweierlei gehört zum Poeten und zum Künstler: Dass er sich über das Wirkliche erhebt und dass er innerhalb des Sinnlichen stehen bleibt. Wo beides verbunden ist, da ist ästhetische Kunst.“ 

Zeichnen ist für Trodler, Trebstein, Mattausch nicht nur Gelegenheits-Handübung vor dem Malen, es ist die Basis künstlerischen Sehens, die notwendige Existenzform überhaupt: Impuls, Analyse und Urteil zugleich.

 

Bei Vater Kurt lernte Eberhard Trodler in den Sechzigern das Malerhandwerk. Eine solide, ehrliche Sache, aber da war noch mehr: Eberhardt hatte da etwas Bildnerisches in den Genen, und es war nur eine Frage der Zeit, bis es sich Bahn brach: Nach der Lehre studierte er an der Fachschule für angewandte Kunst in Heiligendamm. Aber neben all der „angewandten“ Kunst als „Ingenieur für Farbgestaltung“ gab es da in seinem Leben immer eine mächtige Unterströmung hin zur freien Kunst. Hier wären drei Künstlernamen zu nennen, die ihn — jeder auf andere Weise— entscheidend geprägt haben: Ein Film über den Maler Van Gogh, diesen Lazarus und Berserker der malerischen Wahrhaftigkeit, und die beiden zeitgenössischen ost- und mitteldeutschen Maler Kurt Querner und Otto Niemeyer-Holstein, welche, der eine in Thüringen, der andere auf Usedom, Künstler direkt vor der Natur, vor den einfachen, arbeitenden Menschen in der Landschaft waren und die künstlerische Wahrheit nicht nur in der dünnen Luft des Ateliers, sondern in den rauen Wettern der Erde unter den wechselnden Himmeln suchten. Trodlers eindrückliche aquarellierte Landschaften in dieser Ausstellung, sei es der „Urwald“ des heimischen Bäketals gleich hier hinterm Haus oder die hohen Himmel über der Ostseeküste, sind schnell, aber mit sicherer Hand und genauem Blick für das Wesentliche da draußen entstanden. 

 

Und auch darüber hinaus verdanken wir Trodler Einiges: Ein wahrhafter Ehrenamtler, rastlos bis zur Erschöpfung, uneigennützig, hartnäckig, immer freundlich, ob Ausstellungen im Gemeindezentrum, ob Dorffeste, ob Kulturfeste, der „clab“ für die Jugend, der soziokulturelle Verein 1a, den er mit gründete. Und die vielen Kinder in seinen Malkursen, welche fürs Leben etwas Kostbares aus seinem überfüllten Atelier mitgenommen haben: Die wunderbare Erfahrung, vor der Natur, vor der Wirklichkeit etwas Eigenes zu gestalten.

 

Thomas Trebstein, Jahrgang 63 und aus Halle an der Saale gebürtig, hat nach einer Lehre als Schriftsetzer Malerei und Grafik an der dortigen Hochschule für Kunst und Design Burg Giebichenstein studiert. Eine hohe Schule einer erweiterten Gegenständlichkeit, könnte man sagen, wo von den malerischen Lehrern Dieter Rex und Gudrun Brüne koloristischer Reichtum und in der Grafikklasse bei Frank Ruddigkeit expressive figürliche Dynamik bis an die Grenze zur Abstraktion zu lernen war. In dem breiten malerischen und zeichnerischen Werk, welches seither entstanden ist – Interieurs, Figuren, Porträts, Stillleben – nehmen die Landschaften einen besonderen Raum ein: Menschenleer oder bevölkert, die Faszination der farbigen Schatten und der dramatischen Himmel, Stadtlandschaften, die mittelmeerische oder mitteldeutsche Urbanität im wahrsten Sinn des Wortes spiegeln: die blinkenden Fensteraugen oder die melancholischen nassen Straßen oder die unendlichen abendlichen Mischungsmöglichkeiten von künstlichem und natürlichem Licht. Dem gegenüber stehen blätterrauschende Waldbilder und Ost-Seestücke voller Farbrausch und Atmosphäre – und wenn man ganz genau hinhört, ist der ferne Schrei von Möwen darin hörbar, die frei und scharfäugig über allem schweben.

 

Heiko Mattausch verließ die Hochschule in Halle ein Jahrzehnt später und lebt und arbeitet in Leipzig. Er sagt von sich, dass es einige berufliche Umwege und Anläufe brauchte, bis er dort war, wo er nun ganz er selbst ist: Bei der Malerei, in jüngerer Zeit zunehmend auch bei der Plastik. Ganz selbstverständlich nimmt er für sich auch in Anspruch, auf akademische Art Kunst zu machen: In dem Sinn, dass er sich zu solidem zeichnerischem, malerischem und gestalterischem Handwerk als Voraussetzung professioneller künstlerischer Arbeit bekennt. Der präzise und pointierte Zeichner arbeitet auf der Leinwand hingegen mit geradezu explosiv gesetzten pastosen Pinselschlägen, Farb-Eruptionen, die auch nach Trocknung und Rahmung nichts von ihrer passionierten Bewegtheit verloren haben. Seine Stadtlandschaften erinnern zuweilen an filmstills, malerische Augenblicks-Impressionen, sind aber dennoch und trotz ihres kleinen Formats von großer Delikatesse der Farbsetzung, Geschlossenheit der Form und Souveränität der Komposition. Parallel dazu entstehen seit drei Jahren Skulpturen, die ebenso von der Beherrschung der menschlichen Physiognomie und Gestalt zeugen wie von der Faszination, die vom dreidimensionalen Gestalten ausgeht. 

Die Ausstellung ist eröffnet!

2019

Reinhard Griebner

 

Meine Damen und Herren, ich begrüße Sie sehr herzlich, und muss doch im selben Atemzug Beschwerde führen. Das Leben ist manchmal aber auch wirklich zu ungerecht. Sie genießen einen hinreißenden Himmelfahrtstag, und ich habe mich auf ein Himmelfahrtskommando eingelassen. Denn ich habe der Familie Eymael versprochen, Ihnen, liebe Gäste, die Protagonisten des heutigen Tages vorzustellen. Und dabei ein Limit von einer Viertelstunde nicht zu überschreiten. Macht 225 Sekunden pro Künstler. Falls jemand von Ihnen mit mir tauschen möchte, wäre jetzt noch Gelegenheit.

 

Jeder Mensch ist qua Geburt ein Unikat. Besonders individuell aber geht es zu, sobald sie oder er sich als Künstler erkennt oder als Künstler zu erkennen gibt. Dennoch möchte ich zunächst ein paar Gemeinsamkeiten ins Gespräch bringen. Und scheitere schon beim Versuch, alle vier zu einem virtuellen Gruppenfoto aufzustellen, denn immer tanzt einer oder eine aus der Reihe.

 

Robert Metzkes, Gottfried Sommer und Thomas Trebstein zeigen ihre Arbeiten heute zum ersten Mal in der Kunstscheune Barnstorf. Margret Schreiber-Gorny aber ist den Kollegen in dem Punkt um zwei Ausstellungen voraus. – Und damit Ihnen, den Hauptpersonen dieses Himmelfahrtsdonnerstags, gleichfalls ein sehr herzliches Willkommen.

 

Thomas Trebstein ist der Einzige in unserem kreativen Quartett, der nicht auf einer Insel zu Hause ist, sondern in Halle. Margret Schreiber-Gorny lebt und arbeitet auf Usedom, Gottfried Sommer auf Rügen. Und Roberts Metzkes in Berlin. Falls Sie sich nun fragen, wie um alles in der Welt beim Stichwort „Berlin“ auf eine Insellage zu schließen sei: Der Stadtname Berlin, da sind sich die meisten Etymologen einig, ist am ehesten mit „Insel in Sumpfland“ zu übersetzen.

 

Nächster Versuch: Drei der vier Künstler, die sich und uns heute die Ehre geben, wissen gerade Wände nebst anständiger Beleuchtung zu schätzen und präsentieren ihre Arbeiten vorzugsweise auf Leinwand, Sperrholz, Hartfaser, Karton oder Papier. Nur Robert Metzkes’ Personal, teils in Bronze gegossen, teils aus Ton gebrannt, stellt sich dem Betrachter mitten in den Weg.

 

Schließlich und endlich sabotiert auch Gottfried Sommer das Gruppenbild mit Dame. Da er meines Wissens als Einziger unter einem bislang kaum erforschten Gebrechen leidet. Immer wenn der Raps blüht, bekommt Sommer – seine Frau Ursula hat das Phänomen benannt und beschrieben – seinen „Rapsrappel“. Im Wonnemonat Mai kann er sich am satten Gelb kaum sattsehen und ist für den Rest der Welt verloren.

 

Eines aber ist allen vier gemeinsam: Wir haben es mit bildenden Künstlern zu tun, denen im Leben nichts Besseres passieren kann, als Lebenszeit in das investieren zu dürfen, ohne das ihr Dasein keinen Sinn ergäbe – sich ihr Bild von der Welt zu machen, dieses in ein subjektives, an das eigene Ich gebundene Welt-Bild zu übersetzen, und das Anschauungsmaterial der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Womit sich uns, dem Publikum, die Chance auftut, unsere Welt-Anschauung zu überprüfen, infrage zu stellen, zu komplettieren.

 

 

„Tief im Innern der Seele ist eine Sehnsucht, die mich vom Sichtbaren zum Unsichtbaren führt – zur Malerei.“ So lässt sich Margret Schreiber-Gorny in einem Katalog zitieren. Knapp zwanzig Jahre später, mitten in unserem Gespräch, hält sie nachdenklich inne und bietet aus heiterem Himmel eine Nachbesserung an: „Muss es nicht heißen: Eine Sehnsucht, die mich vom Unsichtbaren zum Sichtbaren führt?“

 

Ich meine, sie hat recht. Wie sonst könnten wir an ihrer Sehnsucht teilhaben?

 

Sie sollten das an den Bildern, die Margret Schreiber-Gorny diesmal nach Wustrow mitgebracht hat, überprüfen. Folgen Sie einfach dem Weg, den Ihnen die Leuchtkraft der Farben weist.

 

Es handelt sich um großformatige Ölbilder und Materialcollagen, deren Ingredienzien anschaulich belegen, dass eine Künstlerin ihrer Couleur buchstäblich alles ge- und verbrauchen kann: Mull, Stoff, Leder, Spachtelmasse, Pflanzenfarbe, Asche, Hanf, Pigment, Jute, Pappe, Sackleinen, Japantusche, Goldpapier, Kreide, Samt und Seide. Wobei sie es darauf anlegt, möglichst jeder Collage – teils in Zahlen, teils in Chiffren – ein Geheimnis anzuvertrauen.

 

Wenn sie sich einer Arbeit in Öl widmet, dem „Meeresleuchten“ oder der „Spiegelung“, muss Margret Schreiber-Gorny wenigstens vier Stunden am Stück zur Verfügung haben, sonst übersteigt der Aufwand den Nutzen. Ist es nur eine, fängt sie gar nicht erst an. Oder sorgt sich um ihre Collagen. Beim Hämmern, Kleben und Spachteln ist es ihr möglich, sich in einem kleineren Zeitsegment einzurichten. Die meisten Bilder entstehen übrigens im Winter. Im Sommer muss sie sich um ihren Feng Shui Garten kümmern, der in Neeberg pro Jahr etwa 2.000 Besucher anlockt. Und um die „Galerie im Hühnerstall“, in der sie seit 1992 ihre Arbeiten zeigt.

 

Die Malerei beschert Magret Schreiber-Gorny zwar das größte Glücksgefühl. Zugleich leidet sie aber darunter, dass ihr, nicht zuletzt durch den Einsatz von Chemie in der Landwirtschaft, die Freude an der Landschaft verloren geht. So vermisst sie zum Beispiel die Mohnfelder, an denen sie früher ihren Augenhunger stillte. Und malt keine Mohnblumen mehr.

 

Eine Warnung muss ich noch aussprechen. Sollten Sie sich entschließen, ein Bild von Margret Schreiber-Gorny zu kaufen, bringen sie es schnell in Sicherheit und achten sie darauf, dass es der Künstlerin nie wieder ins Blickfeld gerät. Sie hält nämlich ihre Malutensilien stets griffbereit und neigt noch nach Jahren dazu, ältere Arbeiten infrage zu stellen und nachzubessern.

 

Thomas Trebstein, meine Damen und Herren, hat Bilder mit nach Barnstof gebracht, die ihn sowohl als Maler als auch als Zeichner ausweisen: Da sind zum einen Ölgemälde, von denen zwei Drittel eine Kantenlänge von wenigstens einem Meter haben, zum anderen kleinformatige Blätter in Kreide und Acryl auf Papier.

 

Seine Landschaften verraten es nicht nur durch ihren Titel: Der Sehnsuchtsort des Stadtmenschen Trebstein ist die See. Neben „Kühlungsborn“ und „Stralsund“ gibt es das „Wintermeer“ zu sehen und sorgsam in Szene gesetzte Strandkörbe, die er, ich mag diese Art Augenzwinkern, mit dem Titel „Reihenhäuser“ versehen hat.

 

In den Zeichnungen geht es ein bisschen anders zu. Sie belegen, dass Trebstein sich auch als Videokünstler versteht. Es handelt sich um teils verstörende Momentaufnahmen, die unter dem Titel „Blackfield Remix“ firmieren, und an Standbilder eines Films erinnern, in dem wir alle die Hauptrolle spielen, weil er, wenn ich das richtig sehe, „Leben“ heißt.

 

Thomas Trebstein hat mir freundlicherweise einen Text zur Verfügung gestellt, der seine Annäherung an den Malgrund beschreibt:

 

„Ich bin auf der Suche nach meiner Geschichte. Vor mir eine weiße Fläche, Papier oder Leinwand. In mir ist nichts. Die Geschichte, vielleicht finde ich sie, wenn ich erzähle. ... Ich beginne, suche mit dem Pinsel das erste Wort. Auf der Leinwand formieren sich Farbflächen.“

 

Das Material, dem er in seinen Bildern Gestalt gibt, gewinnt Trebstein, indem er sich sehenden Auges auf diese Welt einlässt und von allem Besitz ergreift, was sich ihm bietet. Zum Griffel oder Pinsel langt er nicht, wenn die Vorarbeiten abgeschlossen sind, sondern sobald die Unruhe in ihm so groß wird, dass er sich anders nicht mehr zu helfen weiß. Und auf der Suche nach dem ersten Wort hat er nicht nur den Pinsel in der Hand, sondern fast immer Musik im Ohr, am liebsten Jazz.

 

Auf eine Besonderheit möchte ich Sie noch hinweisen. Thomas Trebstein ist der Einzige unter den heute hier versammelten Künstlern, der nicht freischaffend arbeitet. Die Trennung von Passion und Brotarbeit schafft ihm – eigenen Worten zufolge – die Freiheit, sich in seinem bildnerischen Schaffen auf keinerlei Kompromisse einlassen zu müssen. Hauptberuflich bringt Trebstein an einer Berufsbildenden Schule jungen Leuten Grundwissen im Fach Datenverarbeitung bei. Ich habe den Namen Thomas Trebstein in meinem Telefonbuch sicherheitshalber doppelt vermerkt, unter dem Kennwort „Künstler“ und in der Rubrik „Erste Hilfe“. Exzellentes in Öl oder Excel für Anfänger, man kann ja nie wissen, was man eines Tages dringender braucht.

 

Szenenwechsel, meine Damen und Herren. Mit dem Dritten im Bunde erschließt sich uns eine neue Dimension. Für die freilich – wie für alles bildnerische Schaffen an jedem beliebigen Ort der Welt – seit Jahrhunderten die Formel gilt: Kunst steht auf tönernen Füßen!

 

Bezogen auf die Plastiken von Robert Metzkes, ist diese Feststellung in erster Linie dem Material geschuldet: Was bleibt Figuren, die aus Terrakotta, also Tonerde gefertigt sind, auch anderes übrig, als auf tönernen Füßen zu stehen?! Dafür erweisen sich seine Werke im Spiegel der Kunstkritik als äußerst standfest.

 

„Viele der von Metzkes bemalten Terrakottaplastiken strahlen, ob als Büste oder Ganzfigur, eine majestätische Würde ab“, urteilte kürzlich ein Rezensent, „die es mit dem stillen Zauber der Nofretetebüste aufnehmen kann.“

 

Seit mehr als 30 Jahren widmet sich Robert Metzkes seinen Terrakottaarbeiten, die er vor dem Brennen farbig engobiert. Unter Engobe versteht man mineralisch eingefärbten Tonschlicker, den der Künstler auf den feuchten Ton aufträgt. Dabei fungiert Metzkes nicht nur als Bildhauer und Maler, sondern, sehen Sie seinen Figuren in die Gesichter, auch als Visagist, und, schauen Sie sich deren Garderobe an, als Modedesigner. Zudem gibt er, dieses Privileg bieten ihm Bronzearbeiten nicht, im wörtlichen und im übertragenen Sinn von Anfang bis Ende den Ton an.

 

Bei über 1.000 Grad Celsius werden die Rohlinge gebrannt. Die Dramaturgie, die sie auf dem Weg vom Werkstoff zum Kunstwerk durchlaufen, erinnert an Stationen aus der Rubrik „Zwischenmenschliches“: Was zu Beginn elastisch und gut formbar war, mutet, sobald es um die Hitze geschehen ist, mitunter etwas spröde an. Dafür gibt es, sobald der Künstler – respektive das Leben – Farbe ins Spiel bringt, einen Zugewinn an Sinnlichkeit. Und was die Wahrnehmung betrifft: Das Berühren der Figüren mit den Pfoten ... – ist zwar erlaubt, aber was das Auge nicht sieht, wird auch der Tastsinn nicht liefern.

 

Gern überlasse ich Robert Metzkes das vorletzte Wort; zumal es einem Credo gleicht: „Es geht mir nicht darum, dass irgendetwas abgebildet wird, sondern um die Form, die eine Übersetzerin der Realität ist.“

 

Robert Metzkes ist nicht nur ein Sprachmittler, der Realität in Form übersetzt, er ist auch bekennender „Augenräuber“. Metzkes will sehen, das zuerst, dann aber folgt, was ihn an die Arbeit treibt: die Lust an der Verarbeitung, die er „Aneignung“ nennt. Schauen Sie sich die Figur an, die „Jenny übermütig“ heißt. Für mich ein zu Bronze gewordenes Postskriptum zur Geschäftsordnung unseres Seins: Mehr Mut, nein, mehr Übermut, bitte schön – mehr Übermut zur Gelassenheit!

 

Gottfried Sommer hat es vor zwanzig Jahren nach Bergen auf Rügen verschlagen. Seinem Wortschatz merkt man den gebürtigen Vogtländer gelegentlich noch an. Wenn er zum Beispiel sagt, dass das Papier, an dem er sich derzeit zu schaffen macht, sehr schön „lumpig“ sei, will er damit ausdrücken, dass man zwei Tage damit arbeiten kann, bevor es seine Saugfähigkeit verliert. Das ist für Sommer extrem wichtig, denn sein Fach ist die Aquarellmalerei, und er trägt die Wasserfarbe nicht auf trockenes, sondern feuchtes Papier auf. Das er, wenn es sich um kleinformatig Quadratisches handelt, eigenhändig aus Bögen der Größe 70 mal 90 Zentimeter herausreißt. Und, sobald das Bild im Atelier die von ihm gewünschte Gestalt angenommen hat, zwar nicht auf die Leine hängt, jedoch einem handelsüblichen Wäschetrockner anvertraut.

 

Bei der von ihm bevorzugten Nass-in-Nass-Malerei handelt es sich um eine extrem anspruchsvolle Technik, und das nicht nur, weil es früher, als der Mann aus Sachsen noch unter freiem Himmel aquarellierte, passieren konnte, dass ihm das durchfeuchtete Papier bei Schnee und Eis unter den Fingern gefror.

 

Bis zu einem gewissen Grad bleibt das Aquarell unberechenbar, und es braucht eine Menge Erfahrung, um ihm vermittels Pinsel und Farbe exakt die Gestalt anzumessen, die sich dem Künstler aufdrängt, sobald er das Gesehene verinnerlicht hat. Dafür weiß Gottfried Sommer, das ist seinem Jahrgang geschuldet, präzise zu sagen, was den Berufsstand so einmalig und die Berufsgenossen vor aller Welt erkennbar macht: „Arbeitslos können Künstler, die es ernst meinen, nicht werden. Höchstens einkommenslos.“

 

Ein Wort zur Arbeitsweise: Gottfried Sommer aquarelliert nicht gern mittags, da ist ihm der Himmel einen Tick zu blau. Aber sonst mag er alles, was der Norden zu bieten hat. Er weiß das Rügener Licht zu schätzen, weil es so schön „wässerig“ und den Rügener Schatten, weil er so schön „durchlichtet“ ist.

 

Einmal, das muss ich an dieser Stelle noch loswerden, hat Gottfried Sommer ein Porträt gemalt, auf dem keiner der Nachbarn, die seine „Tante Gretel“ persönlich kannten, das Modell recht wiederzuerkennen vermochte. Binnen Kurzem aber, das mussten schließlich auch die entschiedensten Zweifler zugeben, hatte sich das erledigt. Nicht, weil sich ihr Blick auf das Bild geändert hätte, sondern weil Tante Gretel Gottfried Sommers Aquarell immer ähnlicher wurde.

 

Womit der Blick – ebenso behutsam wie assoziativ – auf eine Besonderheit gelenkt sei, die mir gegenüber, unabhängig voneinander, jeder der vier Künstler im Gespräch betonte: Nie kann man da weitermachen, wo man aufgehört hat. Immer wieder muss man ganz von vorn anfangen.

 

Meine Damen und Herren, bitte nehmen Sie das Angebot an, das Gabriele, Peter und Riekje Eymael Ihnen hier und heute eröffnen. Bedienen Sie sich an den Aquarellen von Gottfried Sommer, den Bronzen und Terrakottafiguren von Robert Metzkes, den Ölgemälden und Zeichnungen von Thomas Trebstein, den Ölbildern und Materialcollagen von Margret Schreiber-Gorny. Dafür stehen Ihnen jetzt Tür und (Scheunen-)Tor offen.

 

Womöglich kommt Ihnen für Ihren Rundgang ein Satz gelegen, den Gottfried Sommer sich bei Pablo Picasso ausgeborgt und über sein Leben und sein künstlerisches Schaffen geschrieben hat? – „Ich suche nicht, ich finde.“

 

Vielleicht haben Sie Glück. Oder Pech? Vielleicht finden Sie nicht nur das passende Objekt, sondern sich selbst ...

 

Ich danke sehr herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.